Jena / 23. Februar 2023
Abgeordnete aus Europa, Bund und Land informieren sich am Fraunhofer IOF über Quantenforschung als Chance für ein souveränes Europa
Jena / 23. Februar 2023
Welche Bedeutung hat die Quantenkommunikation für die technologische Souveränität und langfristige Datensicherheit Europas? Darüber unterhielt sich eine Delegation von Abgeordneten aus Europa, Bund und Land kürzlich bei einem Besuch am Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF mit Institutsleiter Prof. Dr. Andreas Tünnermann. Der forderte mehr politischen Willen und eine aktivere Industriepolitik seitens Europas.
»IT-Sicherheit liegt mir am Herzen«, sagt Andreas Tünnermann und unterstreicht damit ein Thema von immenser Wichtigkeit: die langfristige Sicherheit europäischer Daten. Denn diese steht vor dem Hintergrund neuester technologischer Fortschritte aktuell vor großen Herausforderungen. Leistungsfähigere Computer und neue Algorithmen bedrohen schon jetzt unsere informationstechnische Sicherheit. Daten können bereits heute abgespeichert und eines Tages z. B. mithilfe von Quantencomputern und deren enormer Rechenleistung ausgelesen werden.
Um etwa europäische Wirtschaftsgeheimnisse, aber auch sensible Daten von EU-Bürgerinnen und Bürgern zu schützen, braucht es daher neuartige Verschlüsselungstechnologien. Die hochsichere Kommunikation mit Lichtteilchen, die sogenannte Quantenkommunikation, bietet hier eine physikalisch nachweislich sichere Möglichkeit, die es uns erlaubt in Zukunft praktisch abhörsicher zu kommunizieren.
Über die zukunftsweisende Bedeutung der Quantenkommunikation tauschte sich Andreas Tünnermann, Leiter des Fraunhofer IOF, mit dem Europaabgeordneten Matthias Ecke sowie dem Landtagsabgeordneten Lutz Liebscher und Dr. Holger Becker, Mitglied des Deutschen Bundestages, (alle SPD) bei deren Besuch am Fraunhofer IOF am 20. Februar 2023 aus.
Im Gespräch machte Andreas Tünnermann dabei speziell auf die Notwendigkeit einer aktiven Industriepolitik seitens der Europäischen Union aufmerksam: Es bringe wenig, wenn Methoden zur hochsicheren Verschlüsselung in Europa erforscht würden, Bauteile und Komponenten für Computer und Smartphones jedoch nach wie vor im außereuropäischen Ausland eingekauft werden müssen. »Man kann noch so effektiv verschlüsseln, jedoch wird jede noch so hochsichere Kryptographie kompromittiert, wenn in jeder Computerhardware ein leicht zu öffnendes Hintertürchen drin steckt«, konstatierte er.
Der Institutsleiter sieht Entscheidungsträgerinnen und -träger auf europäischer Ebene damit besonders in der Verantwortung: »IT-Sicherheit ist eine europäische Aufgabe«, erklärte er im Dialog speziell mit dem Europaabgeordneten Matthias Ecke. Er regte an, die Abteilung für Datensicherheit der EU-Kommission massiv auszubauen. Weiterhin betonte er, dass »Bewertungskompetenz und politischer Wille« bei dieser »ganzheitlich europäischen Aufgabe« gefragt seien.
Die Abgeordneten zeigten sich beeindruckt von der Forschung und Entwicklungsarbeit, die in Jena in verschiedenen quantenbezogenen Forschungsprojekten vorangetrieben wird. Darunter allen voran die vom Bundesministerium für Forschung und Bildung mit 125 Millionen Euro geförderte Initiative QuNET, die den sicheren Austausch von sensiblen Daten bereits erfolgreich demonstrieren konnte. Gemeinsam besichtigten sie zusätzlich ein Quantenlabor am Abbe Center of Photonics.
Die Quantenverschlüsselung macht sich die besonderen Eigenschaften von Quantenteilchen, also speziell modifizierten Lichtteilchen, zunutze. Davon gilt die Quantenverschränkung, die einst von Albert Einstein als »spukhafte Fernwirkung« beschrieben wurde, als Schlüsselelement für hochmoderne Kommunikationssysteme. Mit Lichtteilchen soll unsere Kommunikation in Zukunft praktisch abhörsicher werden. Damit das gelingt, müssen Systeme geschaffen werden, die einen verlässlichen Austausch der sogenannten Quantenschlüssel über verschiedene Distanzen ermöglichen. Das Fraunhofer IOF forscht hier bereits seit längerem an verschiedenen Möglichkeiten:
Bereits seit 2021 besteht zwischen dem Fraunhofer IOF und den Jenaer Stadtwerken eine lokale Teststrecke zum Austausch von Quantenschlüsseln via Freistrahl, also durch die Luft hindurch. Hier wurden Quantenschlüssel bereits erfolgreich über eine Distanz von 1,7 Kilometern ausgetauscht. Dabei erreichten die Forschenden aus Jena Schlüsselgenerierungsraten im Bereich von mehreren Kilobit pro Sekunde. Für den Austausch eines Quantenschlüssels über Freistrahl innerhalb eines urbanen Gebiets gehört diese Generierungsrate weltweit zu den höchsten. Sie würde ausreichen, um ein Telefonat innerhalb einer Stadt problemlos hochsicher zu verschlüsseln.
Noch größere Distanzen lassen sich über Fasern erreichen. Im September 2022 wurden erstmals Quantenschlüssel via Glasfaser über eine Strecke von 75 Kilometern zwischen Jena und Erfurt ausgetauscht. Um perspektivisch sogar ein europäisches Kommunikationsnetz quantensicher verschlüsseln zu können, wird außerdem ein Austausch von Quantum-Keys über Satelliten angestrebt. Aktuelle Forschungsprojekte wie HyperSpace und QuDICE, die am Fraunhofer IOF mitgestaltet werden, wollen hierfür eine Grundlage schaffen.
Die Besonderheit bei der Quantenkommunikation: Im Gegensatz zu konventionellen Kryptographie-Verfahren, deren Sicherheit auf komplexen Rechenaufgaben beruht, basiert die Sicherheit der Quantenkryptographie auf physikalischen Prinzipien. Bei einem Lauschangriff werden die zur Generierung des Quantenschlüssels verwendeten Lichtteilchen messbar verändert.
Eine Cyberattacke wird damit eindeutig erkennbar und der kompromittierte Quantenschlüssel verworfen, wodurch die Information geschützt bleibt. »Wir wollen die Netze bauen, um europäische Kommunikation physikalisch sicher zu machen«, resümiert Andreas Tünnermann über die Ziele verschiedener Quanten-Forschungsprojekte am Fraunhofer IOF und deren Bedeutung für die technologische Souveränität Europas.