Mitarbeitende des Fraunhofer IOF trauern um ehemaligen Institutsleiter

Der Kapitän und seine Mannschaft: Nachruf auf Prof. Dr. Wolfgang Karthe

Jena /

Als Gründungsdirektor hat Wolfgang Karthe den Grundstein für den Erfolgskurs des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF gelegt. Inmitten der deutschen Wiedervereinigung gelang ihm der Aufbau eines renommierten Forschungsinstitutes, das den Wirtschaftsstandort Jena bis heute nachhaltig stärkt. Nun ist Wolfgang Karthe im Alter von 86 Jahren verstorben.

»So gut waren meine Leute. Ich war sicher, die können das.« Es gibt nicht viele Interviews mit Wolfgang Karthe über seine Anfangszeit bei Fraunhofer. Doch die, die es gibt, zeigen: Karthe war kein Mann, der sich in den Vordergrund spielte. Stattdessen stellte er immer wieder seine »Leute« ins Rampenlicht, seine »Mannschaft«.

Die Mannschaft – so nannte Karthe die frühe Belegschaft des 1992 gegründeten Fraunhofer IOF. Doch jede gute Mannschaft braucht einen Kapitän. Und diese Rolle füllte der in Jena geborene und nun verstorbene Wolfgang Karthe mit Weitsicht und einem geschickten Händchen in Sachen Wissenschaftsmanagement aus.

Das Institut nimmt Abschied von seinem Gründungsdirektor sowie einem engen Freund und geschätzten Kollegen, der sich auch noch viele Jahre nach seiner Pensionierung täglich in seinem Büro am Beutenberg seiner Forschung widmete und dem Institut bis zuletzt beratend, aber nie bevormundend zur Seite stand.

Prof. Dr. Karthe ist zu sehen, wie er in Richtung eines Gesprächspartner blickt und gestikuliert.
© Fraunhofer IOF
Prof. Dr. Wolfgang Karthe, Gründungsdirektor des Fraunhofer IOF von 1992 bis 2003. (Aufnahme aus dem Jahr 2017)

Internationaler Pionier für integrierte Optik und Mikrosysteme

Wolfgang Karthe wird am 17. August 1938 in Jena geboren. Er bleibt der Stadt an der Saale Zeit seines Lebens eng verbunden und durchläuft hier seine Schulbildung sowie seinen akademischen Werdegang im Bereich Physik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU).

Nicht nur in der damaligen DDR, sondern auch einer internationalen Wissenschaftscommunity profiliert sich Karthe als Pionier für die integrierte Optik sowie Mikrosysteme. Seine fachliche Expertise ergänzt der Physiker mit einem Talent zum Wissenschaftsmanagement: Ab 1980 baut er als Bereichsleiter den damals neugegründeten Wissenschaftsbereich »Optik kleiner Strukturen« (OKS) der Sektion Physik an der Universität mit auf. 1981 folgt der Ruf auf die Professur für Angewandte Physik an der Uni Jena.

Schon damals gestaltet Karthe seine Arbeit anwendungsorientiert und international. Er arbeitet unter anderem eng mit dem ZEISS-Kombinat zusammen, kennt daher sowohl den Wissenschafts- als auch Wirtschaftsbetrieb der DDR gut. Als im November 1989 in Deutschland die friedliche Revolution ihren Höhepunkt erreicht, hält Karthe sich gerade für eine Gastprofessur in China auf. Den Abend, als daheim in Deutschland die Mauer geöffnet wird, verbringt er dort zusammen mit internationalen Forschenden aus Russland, den USA und China.

In der folgenden Zeit, in der im Zuge der deutschen Wiedervereinigung die Karten politisch und gesellschaftlich neu gemischt werden, entwickelt Karthe die Vision für ein neues Forschungsinstitut mit den Schwerpunkten Optik und Feinmechanik am Optikstandort Jena – ganz in der Tradition von Zeiss und Abbe.

Den Entwurf schickt er nach München, an den Hauptsitz der Fraunhofer-Gesellschaft. Dort fallen seine Visionen auf fruchtbaren Boden: Fraunhofer möchte in den neuen Bundesländern ansiedeln und erwägt eine Fraunhofer-Einrichtung in Jena – zunächst auf Probe mit einer geplanten Aufbauphase von fünf Jahren.

Ziel soll es sein, sich in der internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaft zu etablieren und die wirtschaftlichen Kriterien eines Fraunhofer-Institutes zu erfüllen. Das hieß konkret: »Drei Viertel des Geldes für deine Mannschaft musst du einwerben, ein Viertel muss aus der Industrie kommen«, erinnerte sich Karthe später.

Seine »Mannschaft« war »handverlesen«

Die Leitung des neuen Institutes bietet Fraunhofer, anders als Karthe es erwartet hätte, nicht etwa einem Kollegen aus dem damaligen »Westen« an, sondern ihm direkt. Er kennt die Branche und vor allem die Leute vor Ort. Er weiß, wie man »im Osten tickt«. Über den Hochschulstandort Jena und dessen geistige Kinder sagt Karthe später: »Die Physik hat immer gute Leute ausgebildet. Denen habe ich klar gemacht, dass wir zusammen untergehen oder durchkommen.« Der Kapitän ist gefunden.

Mit rund sechzig Mitarbeitenden nimmt Wolfgang Karthe zum 1. Januar 1992 den Betrieb des Fraunhofer IOF in Jena auf. Seine »Mannschaft« ist »handverlesen«: »Jeder Einzelne ist praktisch irgendwo hergeholt worden«, erinnert er sich noch 2002 in einem Interview anlässlich einer Geburtstagsfeier des Institutes. Das Fraunhofer IOF, das heute auf mittlerweile mehr als 30 Jahre zurückschaut – ohne das Netzwerk von Karthe wäre es nicht vorstellbar gewesen.

Seine Anfänge nimmt das Institut damals im sogenannten »Eulenhaus«, einem ehemaligen ZEISS-Werksgebäude in der Jenaer Innenstadt. Ab sofort wird hier in den Bereichen optische Schichten, optische Systeme, feinmechanisch-optische Systeme und Feinwerktechnik geforscht und gearbeitet. Kunden waren zunächst kleine und mittelständische Unternehmen aus der 90er-Jahre-Hightech-Branche. Karthes Vision geht auf. Schon nach drei Jahren – zwei Jahre schneller also, als eigentlich erwartet – erfüllt die neugegründete Jenaer Forschungseinrichtung alle Kriterien und wird als eigenes Institut von der Fraunhofer-Gesellschaft anerkannt.

In den Folgejahren etabliert sich das Institut nicht nur als wissenschaftliche, sondern auch als wirtschaftliche Instanz der Region: 1997 gründet das Fraunhofer IOF unter Karthe gemeinsam mit dem Institut für Fügetechnik und Werkstoffprüfung (IfW) das Applikationszentrum Mikrotechnik. 1998 machen sich die ersten IOF-Mitarbeitenden selbstständig und gründen die mso jena Mikroschichtoptik GmbH als das erste Fraunhofer-SpinOff »made in Jena« aus. 2000 folgt die Grintech GmbH.

»Ein herausragender Wissenschaftler und Entrepreneur«

Das Institut wächst. Auch als Arbeitgeber. Nur sechs Jahre nach der Gründung, 1998, reicht der Platz im Eulenhaus für Karthe und seine Mannschaft nicht mehr aus. Mehr Labore und mehr Büros müssen her. Es folgt die Entscheidung, ein eigenes Institutsgebäude auf dem Beutenberg Campus, dem Wissenschaftscampus der Stadt Jena, zu bauen. 2002 zieht das Institut in sein eigenes Haus und befindet sich dort bis heute in Nachbarschaft zu Max-Planck- und Leibniz-Instituten sowie anderen Wissenschaftseinrichtungen in erlesener Gesellschaft.

Ein Jahr nach dem Umzug auf den Beutenberg tritt Wolfgang Karthe seinen Ruhestand an und übergibt die Leitung des Fraunhofer IOF an den bis heute amtierenden Institutsleiter Andreas Tünnermann. Der erinnert sich dankbar an Karthes Stütze über viele Jahre: »Ich habe Prof. Karthe als herausragenden Wissenschaftler und Entrepreneur kennen und schätzen gelernt. Bis vor kurzem standen wir in engem Austausch zu strategischen Themen im Zusammenhang mit der Entwicklung des Fraunhofer-Instituts – sein Rat hat mir viele Jahre Orientierung gegeben.«

Noch viele Jahre nach seiner Pensionierung hat Karthe ein Büro am Institut, das er fast täglich aufsucht. Speziell der Abteilung für Mikrooptik, seinem wissenschaftlichen Steckenpferd, fühlt er sich bis ins hohe Alter eng verbunden.

Ein Erbe für Fraunhofer, die Universität und die Optik

Karthe war ein erfolgreicher Netzwerker. Jemand, der wusste, wie man Kontakte knüpft – und verstetigt. Dieses Talent verstand er vielfach zu nutzen – auch im Interesse der Universität Jena, seiner alma mater: Bereits 1990 gründet sich in Jena aus der OKS der Uni Jena und dem ehemaligen Technikum für Schichttechnologien und Sonderbauelemente das Institut für Angewandte Physik, das bis heute an der Uni fortbesteht. Zusammen mit Dr. Peter Pertsch und Dr. Andreas Rasch stellt Karthe damals das geschäftsführende Institutsdirektorium.

Schwarz-weißes Porträtbild von Prof. Dr. Wolfgang Karthe
© Fraunhofer IOF
Prof. Dr. Wolfgang Karthe

Auch die Industrie hatte Karthe stets im Blick: 1999 gründet er als einer von 18 Initiatoren den Jenaer Branchenverband OptoNet e.V. mit. Dem Photoniknetzwerk gehören heute 132 führende Akteure aus Industrie, Forschung und Bildung im Bereich Photonik aus der Region an. Die Mission von Fraunhofer – Wissenschaft und Wirtschaft anwendungsorientiert miteinander zu verzahnen – lebte Karthe vor. Sein Erbe wirkt weit über Fraunhofer hinaus und hinein in die örtliche Hochschullandschaft ebenso wie die Optik- und Photonikindustrie.

Das Fraunhofer IOF, 1992 mit zunächst sechzig Mitgliedern gestartet, umfasst heute rund 500 Mitarbeitende. 23% davon besitzen einen internationalen Hintergrund. Das Institut engagiert sich mittlerweile federführend in den Bereichen Lasertechnologien, Weltraum- und Klimaforschung, moderne Medizintechnik sowie Informationssicherheit und Digitalisierung. Den Weg dafür, ebneten Karthe und – das wäre ihm wichtig gewesen – »seine Mannschaft«.

Wolfgang Karthe verstarb am 21. März 2025 im Alter von 86 Jahre in Jena.

In dieser Zeit der Trauer gelten die Gedanken und aufrichtige Anteilnahme der Mitarbeitenden des Fraunhofer IOF seiner Familie und Angehörigen.

Das Institut wird Prof. Dr. Wolfgang Karthe stets in ehrendem Andenken bewahren.