Jena | 21. August 2023
Gesichter des Fraunhofer IOF: Dr. Carolin Rothhardt ist Segelfliegerin und forscht am Fraunhofer IOF an Fügetechnologien u. a. für Space- und Quanten-Anwendungen
Jena | 21. August 2023
Carolin Rothhardt reizt gern »das Maximum« aus – egal ob bei der Entwicklung von optischen Fügetechnologien zur Anwendung unter extremen Bedingungen oder ob beim Fliegen ohne Motor. Im Juli trat die Wissenschaftlerin und deutsche Meisterin im Segelflug bei den Frauenweltmeisterschaften im spanischen Soria an.
»Siehst du die kleinen Schäfchenwolken da oben am Himmel? Die sind ideal zum Segelfliegen, weil es darunter ganz viel thermischen Aufwind gibt«, erklärt Carolin Rothhardt und lässt den Blick von ihrem Bürofenster am Fraunhofer IOF hinauf in den Himmel schweifen. Bereits seit 2018 arbeitet die promovierte Materialwissenschaftlerin hier oben am Beutenberg Campus, seit 2022 sogar als Gruppenleiterin für Fügetechnologien in der Abteilung Präzisionsoptische Komponenten und Systeme. Fügetechnologien – das bedeutet, dass Carolin und ihre Team Methoden erforschen, mit denen sich optische Komponenten ohne zusätzliche Hilfe etwa durch Kleber miteinander verbinden lassen. »Ich nenne das: Kleben ohne Klebstoff«, erklärt die Wissenschaftlerin mit einem Lachen.
Und genauso wie Carolin ohne Klebstoff kleben kann, kann sie auch ohne Motor fliegen. Seit früher Jugend ist die gebürtige Jenenserin leidenschaftliche Segelfliegerin und engagierte Teilnehmerin vielfältigster Wettbewerbe. Und das mit großem Erfolg: Insgesamt sechs Mal nahm sie bereits an den Deutschen Meisterschaften teil. 2022 holte sie den Meistertitel und qualifizierte sich damit für die Weltmeisterschaft der Frauen im Streckensegelflug, die nun vom 1. bis 15. Juli 2023 im spanischen Soria stattfand und bei der Carolin den fünften Platz in der sogenannten »Clubklasse« belegte.
Die bemerkenswerte Parallele daran: Genauso wie Carolin gern selbst in luftige Höhen aufsteigt, tun es auch die von ihr am Fraunhofer IOF entwickelten Technologien. Ihre Kleben-ohne-Klebstoff-Technik – die Fachleute sprechen von »Bondtechnologien« – kommt zum Beispiel bei der Herstellung von Spektrometern zum Einsatz, die wiederum in der Weltraumforschung Verwendung finden. Denn mithilfe von Spektrometern lässt sich die Zusammensetzung und Beschaffenheit bestimmter Stoffe analysieren.
Ein aktuelles Projekt an dem Rothhardt und ihre Gruppe arbeiten, ist die CO2M-Mission. Unter Leitung der Europäischen Weltraumbehörde soll im Rahmen der Mission 2024 ein Satellit starten, der die Treibhausgasemissionen unseres Planeten überwachen wird. Für CO2M haben Carolin und ihr Team am Fraunhofer IOF ein Prisma mit einem Gitter verbunden und somit eine optische Subkomponente für das im Satelliten verwendete Spektrometer zum Klimamonitoring realisiert.
Doch auch ganz »bodenständige« Projekte werden durch die Bondtechnologien unterstützt: So ist das Team um Carolin zum Beispiel auch an der Forschung rund um den ersten Quantencomputer »made in Jena« und damit den Hochleistungsrechnern der nächsten Generation beteiligt. Denn Carolin mag es »das Maximale auszureizen«, wie sie selbst sagt – egal ob nun beim Sport oder bei der Entwicklung neuster Zukunftstechnologien.
Speziell durch ihre Arbeit an Projekten aus der Klimaforschung sucht die Fraunhofer-Wissenschaftlerin damit nach Lösungen für Probleme, die sie gerade als Segelfliegerin aus einer ganz besonderen Perspektive beobachten kann. »Wenn du über den Thüringer Wald fliegst und die Ausmaße des Waldsterbens dort von oben sehen kannst – das ist schon bedrückend«, sagt die Sportlerin. Doch nicht nur dem einstigen grünen Herzen Deutschlands kann sie dabei zusehen, wie es langsam ergraut. Bei früheren Ausflügen in den Himmel über Spanien hat Carolin auch die verheerenden Ausmaße von Waldbränden aus der Vogel-Perspektive beobachten können.
Dabei ist es gerade die Schönheit und Eigenwilligkeit der Natur, die ihre Begeisterung für den Segelflugsport ausmacht: »Wenn du das erste Mal bestimmte Wetterphänomene ausnutzt – zum Beispiel den durch Sonneneinstrahlung verursachten thermischen Aufwind ausnutzt oder den Wind, der von einem Hang zurückgeworfen wird und dich nach oben treibt – das ist schon ein ganz besonderes Gefühl«, schwärmt sie.
Ein ganz besonderes Gefühl, das nach wie vor mehrheitlich Männer genießen. Denn wie Carolin bemerkt, ist der Segelflug-Sport, genauso wie die Naturwissenschaften, bis heute männlich dominiert ist: »Als ich das erste Mal an den Juniorenmeisterschaften teilnahm, war ich überrascht festzustellen, dass die Teilnehmenden nahezu ausschließlich junge Männer waren – obwohl die Meisterschaften gleichermaßen Mädels wie Jungs offenstanden. Der Anteil weiblicher Fliegerinnen ist bis heute sehr gering.«
Auch bei Carolin war es ihr Vater, selbst ein begeisterter Segelflieger, der sie erstmals auf den Flugplatz nach Jena-Schöngleina mitnahm und somit den Funken für die spätere Leidenschaft entzündete. Der Sport setze zwar ein gewisses Interesse an Technik voraus, erläutert Carolin, »am Ende ist es aber nicht viel anders als Autofahren.« Sie selbst begann mit 14 ihre Ausbildung zur Segelfliegerin. Drei Jahre später hatte sie den Schein in der Tasche. »Ich war eine vollwertige Pilotin, bevor ich den Führerschein hatte«, erinnert sie sich mit einem Lachen in der Stimme.
Dass Carolin aber ohnehin eine echte Vollblut-Wissenschaftlerin ist, spürt man daran, dass sie auch als Segelfliegerin nicht aus ihrer Haut kann und neben der beeindruckenden Naturerfahrung zugleich eben auch die technische Faszination am Segelfliegen unterstreicht: »Die Erkenntnis, dass man ganz ohne direkten Antrieb fliegt, nur mit Kraft der Natur, und dass man auf diese Weise riesige Strecken absolvieren und das Maximum ausreizen kann – das finde ich so faszinierend«, schwärmt sie. Eine Faszination, die sie – ähnlich wie die professionelle Berufung in die Wissenschaft – mit ihrem Ehemann teilt: Dr. Jan Rothhardt forscht am Institut für Angewandte Physik der Uni Jena zu Lasertechnologie und ist ebenfalls prämierter Segelflieger. 2016 holte er bei der Weltmeisterschaft in Litauen den Titel.
2023 war es nun Carolin, die sich bei den Weltmeisterschaften im spanischen Soria mit den weltweit Besten ihrer Sportart messen durfte: »Bei der WM ergaben sich fliegerisch sehr anspruchsvolle Aufgaben. Teilweise musste man sehr tief unter den verbotenen Luftraum fliegen, um die im Wettbewerb gestellten Aufgaben zu absolvieren«, berichtet sie. »Das gelang meiner Teampartnerin Daniela Wilden und mir meist sehr gut.« An drei von acht Tagen gehörte das Team jeweils zu den drei Tagesbesten. Zu Beginn des vorletzten Tages lagen sie zusammen auf den Plätzen zwei und drei. »Leider sind wir dann zu viel Risiko eingegangen und ich habe meinen Podiumsplatz eingebüßt«, ergänzt sie. »Daniela hat den dritten Platz gehalten.« Carolin selbst holte am Ende den fünften Platz. »Damit haben wir unser vorher gesetztes Ziel, nämlich die Top fünf zu erreichen gehalten«, sagt sie. »Möglich hat das auch unsere wundervolle Crew im Hintergrund gemacht. Wir hatten mehrere Helferinnen und Helfer, die uns dabei unterstützt haben, die Flugzeuge vorzubereiten oder kleinere Reparaturen zu erledigen. Zwei Team-Coaches haben weiterhin taktischen und strategischen Support am Boden gegeben«, berichtet Carolin in Würdigung ihrer Crew.
Doch nicht allein die Menschen und der Sport haben die Weltmeisterschaft zu einem unvergesslichen Erlebnis für die Forscherin aus Jena gemacht: »Besonders einprägsam waren für mich auch die Begegnungen mit der einheimischen Tierwelt, speziell den Gänsegeiern«, berichtet sie. »In Deutschland sind auch viele Vögel unterwegs und es gibt Arten, die thermische Aufwinde besser nutzen können als andere. An einem Wettkampftag hat uns beim Fliegen ein Gänsegeier einen besonders guten thermischen Aufwind angezeigt. Anschließend sind wir noch mit ihm gekreist«, erinnert sich Carolin. »Solche unvergesslichen Momente prägen sich ganz besonders ein.«
»Rückblickend war es ein spitzen WM-Einstand«, resümiert die ambitionierte Sportlerin abschließend über ihre erste Teilnahme an einer Weltmeisterschaft. Im nächsten Jahr stehen erneut die deutschen Meisterschaften an – »und natürlich möchte ich mich bei denen erneut für die WM qualifizieren«, sagt Carolin mit einer gehörigen Portion Ehrgeiz in der Stimme.
Das Institut drückt ihr dafür bereits heute fest die Daumen und gratuliert allem voran zu einem erfolgreichen Auftakt bei der Weltmeisterschaft 2023!
Carolin Rothhardt setzt ihren Erfolgskurs sowohl in der Wissenschaft als auch im Segelfliegen fort. Bei den deutschen Segelflugmeisterschaften Anfang August im rheinland-pfälzischen Neustadt holt sie die Silbermedaille und sichert sich damit die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2025 in Zbraslavice, Tschechien. Trotz herausfordernder Wetterbedingungen konnte sie sich am entscheidenden vierten Wertungstag gemeinsam mit ihrer Teampartnerin Daniela Wilden deutlich vom Feld absetzen und den Sieg holen.
Mitte September wurde sie außerdem mit dem renommierten WLT-Preis für ihre Arbeit an innovativen Fügetechnologien für Hochleistungslaser ausgezeichnet.
Leidenschaft für Licht – das ist Fraunhofer IOF. Hier werden innovative Lösungen für lichtbasierte Zukunftstechnologien entwickelt. Doch wer sind die Menschen hinter Forschung und Wissenschaft? In der Reihe »Gesichter des Fraunhofer IOF« stellen wir sie vor.